Kolloquium

Energieversorgung im Brennpunkt

Ein Artikel von Andrea Sturm | 11.07.2023 - 10:08
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Vortragende des ersten Tages: Dirk Siegfried Hübner (Hübner Consulting), Volkmar Helfrecht (HelfRecht unternehmerische Planungsmethoden AG), Jürgen Hinkelmann (Bäckermeister Grobe), Ina Meyer (WIFO), Norbert Lötz (Harry Brot), VdB-Obmann Michael Bruckner. © Andrea Sturm

Mit der Themenauswahl zeigte die VdB (Vereinigung der Backbranche) Österreich ein tiefgehendes Verständnis  für die brennenden Fragen der Branche. Unter den Besuchern waren auch der neu gewählte Präsident der VdB  Deutschland, Frederik Gruß von Vandemoortele, sowie VdB-Ehrenpräsident Hartmut Grahn.

In seinem Eröffnungsstatement analysierte Michael Bruckner, Obmann der VdB Österreich, die aktuelle Situation. „Pandemie und Krieg haben eine Zeitenwende eingeläutet. Sie manifestiert sich dadurch, dass heute nichts mehr so selbstverständlich ist wie vor vier Jahren”, so Bruckner. Das betrifft sowohl die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Energie als auch die zunehmenden Umweltauflagen und Vorhandensein und Arbeitswilligkeit von Personal. Kundenverständnis für Preisanpassungen könne man ebenso wenig voraussetzen. 

Wir müssen uns eingestehen, dass die Erfolgsrezepte der letzten 50 Jahre so nicht mehr gelten werden und überlegen, wie wir unsere Betriebe neu aufstellen und uns neben den Grundbedürfnissen auch den Mitarbeiterwünschen und den Produktionsbedingungen widmen, damit wir auch weiterhin leistbare Backwaren produzieren können.


Michael Bruckner, VdB-Obmann

Die Bedeutung von Nachhaltigkeit

„Nachhaltigen Strategien für Lebensmittelerzeuger” widmete sich Ina Meyer vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung WIFO, Abteilung Klima-, Umwelt- und Ressourcenökonomie. Sowohl die Wissenschaft als auch Umfragen in der Bevölkerung sehen den Klimawandel als die wesentliche globale Herausforderung. Die  globale Temperaturerhöhung zu beschränken muss ein wesentliches Ziel sein, so Meyer, daher ist die Klimaneutralität, also eine rasche Reduzierung der Treibhausgasemissionen, unerlässlich. Eine wichtige Rolle dabei spielen auch die Böden.

Wald, Ackerland und Grünland nehmen immer weiter ab, während Siedlungsflächen in den letzten 30 Jahren um 49 Prozent gewachsen sind, was zur Klimaproblematik beiträgt. Bereits sichtbare Auswirkungen des  Klimawandels sind Extremwetterereignisse, die die Produktivität der Landwirtschaft und damit auch die Rohstoffpreise beeinflussen. Wichtig für eine sichere Zukunft ist daher der Dialog zwischen Wissenschaft und Entscheidungsträgern, der kürzlich im Projekt ARISE die fünf „Reasons for Concern” (Gründe zur Besorgnis) des IPCC in einem regionalen Maßstab im Osttiroler Lienz und Umgebung analysierte und Lösungsvorschläge erarbeitete.

Für Lebensmittelerzeuger bedeutet das, dass nicht nur Emissionen reduziert und die Energieversorgung diversifiziert werden muss, sondern dass in allen Bereichen die Resilienz, also die Fähigkeit, mit wandelnden Produktions- und Umweltbedingungen umzugehen, hinterfragt und gestärkt werden muss.

Planung als Erfolgsrezept

Der wichtigste Erfolgsfaktor für ein Unternehmen ist die richtige Strategie, erklärte Volkmar Helfrecht, HelfRecht Unternehmerische Planungsmethoden AG. Ein Beispiel dafür ist die Personalplanung. Die in der  EU vorherrschende Bevölkerungspyramide in Form einer Urne zeige schon deutlich eine der wesentlichsten Herausforderung für die nahe Zukunft, denn in den nächsten fünf bis sieben Jahren gehen die Babyboomer in Pension. Damit sei das Thema schlagend, denn die Zeit für die Suche nach Mitarbeitern und deren Ausbildung sei damit bereits knapp bemessen. Quereinsteiger müssen interessiert, motiviert und ausgebildet werden, auch die Frage, wie man Nicht-Europäer so ins Unternehmen einbinden könne, sodass sie sich wohlfühlen und gute Arbeit leisten können, müsse neu gedacht werden.

Aber nicht nur in Sachen Personal, sondern in allen wesentlichen Fragen gelte es, die Planung für die nächsten Jahre aus vier Perspektiven zu betrachten. Die Kundenperspektive, die Mitarbeiterperspektive, die  Prozessqualität und die Finanzlage müssen einbezogen werden, um die Zukunftssicherheit eines Unternehmens zu gewährleisten. Während der 1-Jahresplan sich vor allem auf konkrete Gegebenheiten stützt, sollte die weitere Zukunftsplanung durchaus auch visionäres Denken und Ideen fördern.

"Nachhaltige Ernährung geht nur Pflanzlich"

Während auch in Deutschland viele Betriebe in der Branche mit Problemen zu kämpfen haben, ist es Harry Brot gelungen, Das Einzugsgebiet und die Umsätze Jahr für Jahr zu vergrößern. Norbert Lötz, Geschäftsführer Produktion und Technik bei Harry Brot, sieht das Erfolgsrezept des Großbäckers vor allem in der ausgeklügelten Logistik. Sieben Logistikzentren sorgen dafür, dass die Ware in unter 24 Stunden vom Ofen ins Regal kommt.  Statistiken und künstliche Intelligenz helfen, Retouren zu vermeiden.

Lötz sieht es als Branchenaufgabe der nächsten Jahre, mit geringeren Erntemengen und einer durch die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und Stickstoffdünger verringerten Qualität dennoch eine nachhaltige und gewinnbringende Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen, denn: „Nachhaltige Ernährung geht nur pflanzlich.”

Man müsse daher nicht nur das Produkt selbst, sondern alle Faktoren aus Sicht der Nachhaltigkeit betrachten, so Lötz: Rohmaterial, Verpackung, die Produktionsbedingungen und der Transport spielen eine wichtige Rolle auf dem Weg zum klimaneutralen Produkt. Bei Harry Brot setzt man etwa auf Reinräume bis zur Verpackung, um die Energiekosten für das Erhitzen zur Haltbarmachung zu verringern. Die Haltbarkeit sei auch ein wichtiger Faktor im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung.

Die Technik müsse ebenfalls unter die Lupe genommen werden. So werden bei Harry Brot anstatt empfindlicher Touch Panels mittlerweile wieder passive Bildschirme eingesetzt, die Steuerung der Prozesse erfolgt zentral, was den Reparaturbedarf mindert. Sowohl der Produktionsprozess als auch die Endprodukte müssten immer wieder neu betrachtet werden – so gelte bei Harry Brot der Grundsatz, dass ein Drittel des Produktsortiments jünger als fünf Jahre sein muss. Um ausreichend gute Mitarbeiter zu gewinnen und zu behalten, sei es besonders wichtig, dass die Arbeit als sinnvoll wahrgenommen wird, was bei Bäckereien durchaus der Fall sei – man müsse es aber auch kommunizieren.

Green Baker mit Mitarbeiter-Plus

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Grobe-Geschäftsführer Jürgen Hinkelmann hat funktionierende Rekrutierungs-Strategien. © Andrea Sturm

„Ein Unternehmen muss eine zukunftsfähige Familie sein”, betonte Jürgen Hinkelmann, geschäftsführender Gesellschafter der norddeutschen Bäckermeister Grobe GmbH. Das Unternehmen wurde 2003 aus drei verschiedenen Bäckereien fusioniert und konnte seine Filialen seither von 22 auf 63 erweitern – mit maximal 30 KilometernEntfernung bis zur Backstube.

Auf der Suche nach Mitarbeitern geht Grobe topaktuelle Wege. So werden in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt Langzeitarbeitslose umgeschult, was sehr gute Mitarbeiter brachte, wie Hinkelmann betonte. Die Ausbildung von Einwanderern, etwa aus Tunesien und Ägypten, funktioniert bei Grobe ebenfalls gut, wobei es wichtig ist, ihnen die Zeit für Sprachausbildung zu gewähren – auch wenn der Sprachunterricht von der Arbeitszeit abgeht.

In der Mitarbeiterführung wiederum sei die Kommunikation auf Augenhöhe besonders wichtig – bei Grobe gibt es dafür unter anderem wöchentliche „Erfolgskreise”, in denen gemeinsam mit Geschäftsführung, Produktion und FilialleiterInnen neue Entwicklungen und aktuelle Zahlen offen besprochen werden.

Das Unternehmen ist zudem zertifizierter Greenbaker, ein Label, das auf den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen basiert. Dirk Siegfried Hübner, der die Greenbaker Stiftung ins Leben gerufen hat, betonte: „Am Anfang stehen immer Daten und Statistiken. Sie ermöglichen es, Einsparungs- und Optimierungspotenziale im Unternehmen zu finden.” Die Greenbaker Stiftung analysiert jährlich fünf Faktoren, die zu den Nachhaltigkeitszielen beitragen.

Um das Zertifikat zu erhalten, muss für jedes SDG mindestens eine dieser „Hard Facts” erfüllt sein, erläuterte Hübner. Das Aufspüren von Nachhaltigkeitspotenzialen habe aber auch ganz konkrete finanzielle Vorteile, wenn etwa Energie eingespart werden kann.

Cyber-Crime und Energiesorgen

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Anka Lorencz warnte eindringlich vor Cyberkriminalität und Blackouts. © Andrea Sturm

Nach der Entlastung des Vorstands und dem Bericht über die VdB-Aktivitäten des Jahres durch Obmann Michael Bruckner brachte die Bundesgeschäftsführerin der Lebensmittelgewerbe Anka Lorencz in Vertretung von Innungsmeister Josef Schrott aktuelle Innungsthemen in den Fokus. Die bevorstehende Entwaldungsrichtlinie betreffe auch heimische  Unternehmen, die Produkte wie Palmöl oder Kakao verarbeiten. Auch das Lieferkettengesetz und die bevorstehende verpflichtende Berichtslegung zur Unternehmensstrategie in Sachen Nachhaltigkeit beschäftigen die WKO, ebenso wie eine Neuerung im Wettbewerbsrecht, nach der „Green Claims” in Zukunft nachweisbar sein müssen.

Besonderes Augenmerk sollten Unternehmen derzeit auf die Cyber Security legen, betonte Lorencz, denn bereits ein Drittel aller KMU seien Opfer eines Cyberangriffs geworden, und bei vielen weiteren sei es nur eine Frage der Zeit. Auch auf einen Blackout müssten sich Unternehmer vorbereiten. Jedes Unternehmen sollte dafür präzise Pläne machen, betonte Lorencz.

Kontaminanten und Zusatzstoffe

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VdB-Obmann-Stellvertreterin Angela Pretzl analysierte Neuentwicklungen aus Brüssel © Andrea Sturm

Neuigkeiten aus Brüssel und von den Aktivitäten des Großbäckerverbands AIBI überbrachte Angela Pretzel,  Obmann-Stellvertreterin des VdB Österreich. Sorgen bereiten ihr die geplanten Orientierungswerte bei Acrylamid, denn es stehe zu befürchten, dass Handelsketten diese Orientierungswerte als Grenzwerte verwenden werden, so Pretzl. Das könnte vor allem für sehr dunkle Brote oder bei der Verwendung von Ölsaaten und Nüssen problematisch werden.

Bei den Kontaminanten sorgen neue Grenzwerte für Blausäure (Leinsaat), Nickel (Ölsaaten, Sonnenblumen) und Ochratoxinen (Rosinen, Trockenfrüchte) für potenzielle Probleme. Im Auge behalten müsse man zudem die Problematik der PFAS, also Mikroplastikpartikel, die beispielsweise aus Lebensmittelverpackungen oder Kühlmitteln in die Umwelt geraten, denn sie sollen in Zukunft komplett verboten werden.

Die im Green Deal geforderte Vermeidung von Lebensmittelverschwendung würde derzeit zu stark auf Produzenten fokussiert, obwohl 69 Prozent der Abfälle aus Haushalten, Gastronomie und LEH stammen. Eine Überarbeitung der Datumskennzeichnung sei wichtig, so Pretzl, zudem müsse man den EU-Bearbeitern aber auch vermitteln, dass Produzenten von Backwaren generell wenig Abfall produzieren.

Alternativ-Energie für Bäckereien

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Jürgen Fluch vom Joanneum Kapfenberg: „Alternative Energien sind alternativlos.“ © Andrea Sturm

Jürgen Fluch vom Joanneum Kapfenbergv widmete sich der Frage, welche Möglichkeiten ganz konkret in der Backstube für Energieeinsparungen und alternative Energieformen sinnvoll sind. „Der Umstieg auf alternative Energien ist alternativlos”, betonte Fluch, nicht nur wegen der Umweltvorgaben, sondern auch aus  Kostengründen und wegen der Kundennachfrage nach möglichst „grüner” Produktion.

Die Decarbonisierung von Bäckereien sei aber durchaus mit heutiger Technologie möglich. Energieträger wie Solarthermie, Photovoltaik und Biomasse seien verfügbar und können sich bei richtigem Einsatz binnen kurzer Zeit amortisieren. Aufgrund der Analyse, dass 75 Prozent des Energiebedarfs einer Bäckerei aus dem Hitze- und Kältebedarf resultieren, schloss Fluch: „Effizienz ist der wichtigste Energieerzeuger.”

Deshalb sei eine Analyse des Stromverbrauchs essenziell: Backen unter Volllast, Öfen nicht vorzeitig  einzuschalten und optimierte Isolierung bieten dabei hohe Einsparungspotenziale. Weitere Möglichkeiten ergeben sich durch die Nutzung der verbleibenden Abwärme, etwa zur Gebäudeheizung und Reinigung. In Sachen Erzeugung biete sich bei hohem Temperaturbedarf auch eine Kombination aus Solar- oder Geothermie und Wärmepumpe an, Technologien, die im Gegensatz zu Wasserstoff und E-Fuels sofort verfügbar sind. Solche Lösungen müssten aber von Anlagebauern kommen, betonte Fluch, der Bäcker müsse sich darauf verlassen können, dass ein System einfach und verlässlich funktioniert.

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Christian Benedikt von KÖNIG Maschinen gab Praxistipps zum Energiesparen. © Andrea Sturm

Christian Benedikt von KÖNIG Maschinen betrachtete die Einsparungspotenziale aus ganz praktischer Sicht. Der  Maschinenbauer hat vor vier Jahren eine neue Ofensteuerung entwickelt, die viel Energiesparpotenzial bietet.  Die Daten aus dem Praxisbetrieb zeigten aber, dass die Öfen dennoch ineffizient betrieben werden. Dass Bäcker etwa bei Produktionsbeginn als Erstes alle Öfen einschalten, sei vielerorts Gewohnheit, obwohl es meist nicht nötig ist. Ein späterer Einschaltzeitpunkt oder eine Staffelung, welcher Ofen wann benötigt wird, könne schon sparen helfen. Technisch seien die Prozesse und Maschinen bereits hoch optimiert, beispielsweise durch Isolierung der Öfen oder die Möglichkeit zum gepulsten anstatt einmaligen Schwaden. Jetzt gelte es, die Optimierungspotenziale in den Prozessen ebenfalls zu nutzen.

Energie beim Aufheizen lässt sich sparen, wenn man Produkte mit niedrigerem Energiebedarf zuerst bäckt. Auch die Temperaturen für Backprozesse zu überdenken, sei ein möglicher Weg, denn laut Backversuchen  beeinträchtigen etwas niedrigere Temperaturen bei leicht erhöhter Backzeit die Produktqualität nicht.

"Der Blackout kommt"

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Prof. Karl Rose von Energie Steiermark: „Der Blackout kommt.“ © Andrea Sturm

Der Energiemarkt aus Sicht der Erzeuger war Thema des Vortrags von Karl Rose, Aufsichtsrat der Energie  Steiermark und Universitätsprofessor am Institut für Unternehmensführung der UNI Graz. „Der Strom ist künstlich verteuert”, erklärte Rose, und kritisierte daher auch die aktuelle Entscheidung der EU, die Merit Order beizubehalten.

Tagesaktuelle Schwankungen an der Energiebörse seien für den Kundenpreis nicht maßgeblich, da die Kapazitäten zwei bis drei Jahre vor dem Verbrauch eingekauft werden. Strom- und Gaspreise seien zwar wieder gefallen, werden aber in absehbarer Zeit nicht das Vorkriegsniveau erreichen. Gas aus Russland ließe sich derzeit nicht durch LNG-Importe ersetzen, weil Pipeline-Kapazitäten fehlen, und es gäbe nicht einmal Pläne zu deren Ausbau; Wasserstoff und E-Fuels seien noch lange nicht für den praktischen Einsatz geeignet.

Für den hierzulande geplanten verstärkten Einsatz von Photovoltaik fehlen nicht nur Rohstoffe, die aus China importiert werden müssen, sondern auch Techniker, die die Anlagen bauen. Private Einspeisung im großen Stil ist ebenfalls ein Problem, weil die Leitungskapazitäten dafür nicht ausreichen. Aber auch wenn der Ausbau umgesetzt wird, werde Strom dadurch nicht billiger werden, denn die nötigen Investitionen würden das Niveau noch für viele Jahre hoch halten. Für die Steiermark setzt Rose einstweilen aktuell auf die Nutzung geothermischer Energie aus dem Thermenland.

Auf die abschließende Frage, ob man mit einem Blackout rechnen müsse, antwortete Karl Rose: „Der kommt ganz sicher, die Frage ist nur, wann und wie schlimm.”